Dienstag, 23. August 2011

Taggen - eine leistungsfähige Methode der Erschließung

[ursprünglich veröffentlicht am 10.05.2009 von Dr. Jürgen Plieninger]

Wolfgang und ich sprachen kürzlich über die Schwierigkeit, TeilnehmerInnen von Schulungen klar zu machen, dass das so genannte "taggen" sehr viel leistungsfähiger ist, als wenn man bestimmte Inhalte lediglich in Ordner systematisch ablegt. Da ich Bibliothekar bin und quasi von Berufs wegen mit der Problematik zu tun habe, möchte ich hier gerne versuchen, Ihnen zu erläutern, welch' großes Potential die Verschlagwortung an sich und dann im Besonderen nochmal in Form des Taggens besitzt.

Warum ist Verschlagwortung an sich schon leistungsfähiger als andere Methoden? Schauen Sie sich eine Bibliothek an: Da stehen die Bücher in einer Systematik nach Themen geordnet im Regal. Aber sie stehen nur an einem Platz. Ihr Inhalt ist aber vielfältiger. Dem wird die Systematik nicht gerecht, denn weder kann man das Buch auseinanderreißen, noch mehrere Bücher anschaffen und diese an alle möglichen Stellen ins Regal einordnen, die inhaltlich relevant wären. Fazit: Eine Systematik bietet eine klare Ordnung (und Unterordnung), wird aber dem Inhalt der Medien einer Bibliothek nicht gerecht. Deshalb wird schon seit langem in Bibliotheken verschlagwortet, so dass man das Buch dann über den Katalog an vielen Stellen findet. Das Schlagwort ermöglich also die vielfache Nennung von relevanten Begriffen, es bietet darüber hinaus auch die Möglichkeit, Bücher zu erschließen, die den inhaltlichen Aspekt gar nicht im Titel führen, und auch jene, die in anderen Sprachen verfasst sind. Schlagworte sind also inhaltlich stets relevant und leistungsfähig.

Das war das Beispiel der Bibliothek. Jetzt kommt aber Ihr Computer und dort der Browser ins Spiel. Dort legen Sie selbst ab, in Form von Bookmarks/Favoriten. Und das machen Sie wie? Recht antiquiert, in einem systematischen, hierarchisch gegliederten Strang von Ober- und Unterordnern. Wenn Sie viele Links haben, dann kennen Sie den Effekt, dass Sie den Verzeichnisbaum hinauf- und hinuntersuchen, wo denn der gesuchte Link, an den Sie sich ganz sicher erinnern, dass er da ist, aber nicht, wo er ist, zu finden ist. In Firefox können Sie seit kurzem auch taggen, allerdings fragt man sich, wo die leistungsfähige Suche ist. Also: Bookmarks systematisch ablegen, ist nicht mehr zeitgemäß, nicht leistungsfähig, zudem an einen PC gebunden und auch nicht für die Zusammenarbeit mit anderen geeignet. Verschlagworten Sie!

Leicht gesagt? Ein Gewöhnungsfaktor nur! Wenn Sie bei Delicious oder Mr Wong einen Account anlegen, können Sie Ihre Links aus dem Browser exportieren und dort dann importieren. Beim Import werden Ihre bisherigen Ordner in Tags umgewandelt, es ist also nicht umsonst, was Sie bisher gemacht haben. Und dann beginnen Sie, dort Links aufzunehmen und sie mit Hilfe von Tags, also Schlagworten zu beschreiben. Hier beginnt die Unsicherheit, denn diese werden in den Diensten chronologisch abgelegt. Jede neue Kulturpraxis bringt Unsicherheit mit sich, deshalb bitte keine Scheu, einfach einmal drauflos zu verschlagworten. Angleichen kann man später auch noch, das ist kein Problem. Wichtig ist jedenfalls, dass Sie nicht spärlich vorgehen, sondern zwischen 2-6 Schlagworte vergeben sollten. Wenn Sie dann etwas suchen, können Sie problemlos zunächst ein Schlagwort eingeben, wenn die Ergebnismenge groß ist, noch mit einem zweiten einschränken usw. Sie können so bei der Suche mit Hilfe verschiedener inhaltlicher Aspekte einschränken, aber auch auf der Suche nach dem optimalen Ergebnis herumspielen, indem Sie verschiedene zusätzliche Schlagworte ausprobieren und anhand der erzielten Ergebnismenge beurteilen - und das ist etwas ganz anderes, als in einem drögen Verzeichnisbaum herauf- und herunterzuscrollen! Voraussetzung ist, dass man reichhaltig verschlagwortet, also immer mehr als ein einziges Schlagwort vergibt, sonst kann man nicht richtig kombinieren.

In Web 2.0-Diensten wie sozialen Bookmarksammlungen, aber auch in sozialen Literaturverwaltungsdiensten, Katalogen, die eine Nutzeranpassung erlauben, Bilderdiensten, Wikis, Weblogs und vielen anderen mehr, in all' diesen können Sie die Inhalte in der Regel selbst verschlagworten, nach Ihren Prioritäten. Und da es in der Regel Dienste sind, die auch ein gemeinsames Arbeiten erlauben (deshalb der Zusatz "sozial"), ist es auch möglich, gemeinsam zu verschlagworten. Stellen Sie sich vor, wenn Sie in einer Arbeitsgruppe zusammenarbeiten, in der Sie sich auf ein paar gemeinsame Schlagworte verständigen und dann über dieses Schlagwort im betreffenden Dienst (beispielsweise einer Bookmarksammlung oder einem Katalog) nicht nur Ihre eigene Eintragungen finden, sondern auch die der anderen Mitglieder der Arbeitsgruppe! Ich habe beispielsweise mit zwei Kollegen einmal einen Kurs konzipiert und wir haben uns auf ein einigermaßen kryptisches Schlagwort - es war die interne Kennung des Kurses - geeinigt, das man prima suchen und solcherart alle Eintragungen finden konnte, die wir drei zu diesem Kurs getätigt hatten. Diese so genannte "folksonomy", die Verschlagwortung durch Nutzer, also Sie und Ihre Arbeitspartner/innen, ist in ihrer Leistungsfähigkeit noch gar nicht ausgereizt.

Probieren Sie es aus! Es ist eine andere Denkweise, auf die man sich einlassen muss, um die vergleichsweise große Leistungsfähigkeit erfahren zu können. Voraussetzung ist, dass Sie zuverlässig möglichst viele Schlagworte vergeben, um später spezifisch suchen und auf Relevantes einschränken zu können! Falls Sie hierzu gern einen theoretischen Hintergrund mit schlagenden praktischen Beispielen hätten, dann schauen Sie doch einmal in Das Ende der Schublade: Die Macht der neuen digitalen Unordnung von David Weinberger (Hanser Verlag 2008) hinein. Da wird anhand mehrerer Beispiele (u.a ein Fotoarchiv) belegt, dass eine systematische Ablage weniger leistungsfähig und - vor allem der EDV nicht angemessen ist. Da haben Sie nun einen Computer - dann sollten Sie ihn nicht so benutzen, als ob Sie ein Blatt Papier oder Karteikärtchen vor sich liegen hätten. Die EDV ist in vielerlei Hinsicht sehr leistungsfähig, Relevantes aus Archiviertem herauszu"heben", Sie müssen nur das Ihre dazu tun und die Dinge entsprechend einarbeiten. Wie gesagt: Am Anfang ungewohnt, aber frappierend in der Effizienz der Ergebnisse!

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