Einen der Schwerpunkte in der Berichterstattung des Agora-Wissen-Blogs bilden Entwicklungen rund um das, was häufig als Web 2.0 bezeichnet wird. Blogs, Office Online, Social Bookmarking, Social Networking, Wikis, Read/Write Web etc. sind einige der wichtigeren Stichworte und Begriffe, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen, wobei uns hier vorrangig die Auswirkungen dieser neuen und neuartigen Phänomene auf Lernen und Lehren interessieren.
Das in der deutschsprachigen Fassung etwas über 300 Seiten umfassende Buch von Don Tapscott und Anthony D. Williams mit dem Originaltitel "Wikinomics. How Mass Collaboration Changes Everything" dagegen untersucht die Auswirkungen auf die Ökonomie. In einem einleitenden Teil erläutern die Autoren die zentralen Prinzipien von Wikinomics (Offen sein; Gleichrangigkeit; Teilen; Global handeln) und demonstrieren dann anhand einzelner Firmen - wie etwa BMW, IBM, Procter & Gamble und vielen anderen mehr - sowie Beispielen aus allen möglichen Feldern - vom Pharmabereich über die Produktion von Musik CDs und Software bis hin zum Bergbau! - wie das neue Phänomen der "Peer Production" die Wirtschaft grundlegend, ja revolutionär bereits verändert hat und immer nachhaltiger verändert.
Im Kern geht es dabei um die Frage, wie sich das geradezu unglaubliche Potenzial von Sachkenntnis und Engagement, das unter anderem in so erfolgreichen Projekten wie Wikipedia seinen Niederschlag gefunden hat, und das seit einigen Jahren aufgrund der neuen Web 2.0-Technologien so einfach und nahezu zum Nulltarif global mobilisiert werden kann, von Unternehmen genutzt werden kann. Die Autoren vertreten dabei die These, dass es sich selbst die ökonomisch potentesten Unternehmen mit riesigen Forschungsabteilungen nicht mehr leisten können, auf diese Ressource zu verzichten und belegen diese anhand vieler eindringlicher und überzeugender Beispiele.
Das allerdings erfordert, so Tapscott und Williams, ein grundlegendes Umdenken seitens der Unternehmungen, eine Abkehr von streng hierarchisch strukturierten Prozessen, eine Öffnung nach außen, die auch das partizielle Offenlegen von bislang streng gehütetem Unternehmenswissen, wie etwa Software-Code oder Patenten, einschließen kann und eine intensive Einbeziehung der Kunden in die Entwicklung von Produkten.
Nach meiner persönlichen Einschätzung handelt es sich bei Wikinomics um eines der wenigen Bücher, die wirklich jeder, der sich auch nur am Rande für gesellschaftliche und politische Entwicklungen und unseren weiteren Weg im gerade angebrochenen 21. Jahrhundert interessiert, gelesen haben sollte. Und das sollte umso leichter fallen, als die Monografie auch sehr leicht zugänglich ist und sich stellenweise wie ein Kriminalroman liest. Was Manager und Politiker angeht, so halte ich Wikinomics für eine absolute Pflichtlektüre und auch der Gemeinschaftskundeunterricht in der gymnasialen Oberstufe könnte außerordentlich davon profitieren - einmal ganz abgesehen davon, dass Sie damit ein Thema hätten, das Ihre Schülerinnen und Schüler garantiert interessiert und fesselt.
Bleibt nur eine Frage am Schluss übrig, bei der ich meinerseits einmal auf die eben angesprochenen Ressourcen, sprich Ihre Kenntnisse und Ihr Wissen, liebe Leserinnen und Leser, zurückgreifen möchte, nämlich, gibt es eigentlich eine vergleichbare Darstellung der Auswirkungen von Web 2.0 auf Politik, also eine Art WikiPolitics?? Diese Frage drängt sich bei der Lektüre von Tapscott/Williams geradezu auf, denn all das, was sie beschreiben, hat offensichtliche und weitreichende Implikationen für Politik.
- Was wird mit Interessensvertretungen, wie Verbänden und Gewerkschaften, wenn Individuen vor allem in häufig wechselnden, globalen Peer Groups zusammenarbeiten?
- Wie soll Politik die Ökonomie steuern, wenn die Wirtschaft zunehmend aus individuellen, sich immer wieder anderen globalen Peer Groups anschließenden Knowledge Workern besteht, die mal hier, mal da arbeiten?
- Welche Auswirkungen verbinden sich damit für unsere Sozialversicherungssysteme?
- (Wie) kann das gigantische Potenzial dieser Peer Groups möglicherweise auch in der staatlichen Forschungsförderung eine Rolle spielen und durch diese gefördert werden, um, unter Umständen mit geringem Aufwand, Innovation außerhalb der etablierten Kanäle zu fördern?
- Wäre das überhaupt noch sinnvoll in nationalem Rahmen möglich, oder sind hier Institutionen wie die Europäische Union gefordert?
Und wenn "Nein", wäre es nicht höchste Zeit, so ein Projekt einmal anzugehen und dabei die Ressourcen zu nutzen, die Wikinomics so eindringlich beschreibt, wie beispielsweise ein Wiki? Was meinen Sie dazu?
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